Grasbergwandern hat ja in der Regel so was Federndes. Locker sitzende Wosn - das ist übrigens der hiesige Ausdruck für Grasnarben - dämpfen den Tritt. Wie kleine Mini-Kissen entlang des Pfades.
Manchmal - gerne auch wenn’s einige Tage geregnet hat - ist die Wosn so locker, dass sie, unter dem Gewicht des Wanderers, von der restlichen Bodendecke abreißt. Dann ist Grasbergwandern gar nicht mehr so federnd. Eher mühsam. Weil man bei jedem Schritt mitsamt einem Grasbüschel und dessen zugehörigen - von Wurzelwerk durchsetzen, feuchten & nährstoffarmen - Klumpen Erde ein paar Zentimeter abrutscht. Man kriecht dann eher auf allen Vieren den Berg hoch als dass man locker zum Gipfel hopst. Spaß macht’s trotzdem.
Heute aber, ist das Grasbergwandern ganz anders. So ungepolstert. So unnachgiebig. Und auf einer Bodendecke so hart wie Stahlbeton scheffle ich die Höhenmeter wie einst Giacomo Agustini seine unzähligen Weltmeistertitel. 🏍
Tagsüber wärmende und bodenerweichende Sonnenstrahlen sind hier an der Nordflanke des Schützkogel in knapp 2000m ü.A. ohnehin rare Gäste. Und erst recht Mitte November. Auch wenn dieser November, wie schon viele seiner Vorgänger-November, in die Geschichte eingehen soll, als wärmster Vertreter seit Aufzeichnungsbeginn, bleibt diese Seite des Berges für die nächsten Monate bockhart gefroren.
Wie von selbst tragen mich meine Gamshaxn immer höher hinauf entlang des tiefgekühlten steilen Hangs und als ich kurz den Blick vom Pfad abwende um Ausschau nach Skye zu halten, erspähe ich meinem Hund im flachen Gegenlicht der Novembersonne am Kreuz unseres ersten schmucklosen Gipfels für heute - dem Schützkogel auf 2069m.
Heimatlos? Nicht mehr…
Ich bin in meinem Leben schon 26 x übersiedelt. Nicht immer freiwillig versteht sich. Retrospektive sehe ich aber mitunter auch ganz klare Vorteile im entwurzelten Erwachsenwerden.
So kann ich durch den häufigen Wohnortwechsel mit einer besonderen Mundart-Gabe aufwarten: Ich erkenne regionale Sprachvarianten meiner Mit-Tiroler auf wenige Kilometer genau an der Intonation einzelner Dialektwörter und an der Ausprägung ihrer K’s, Ch’s und Sch‘s. Ein kleines Hobby von mir. 🤷🏼♀️
Und ich spreche selbstverständlich auch fließend Australisch. Nein, nicht Englisch. Die Rede ist von einem richtig derben Aussie-Bush-Slang. So einer, hinter dem man geringstenfalls die weibliche Version eines Crocodile-Dundee-Prolos erwarten würde…
Einen Großteil des Lebens nirgends und überall zuhause zu sein, mag wohl mitunter auch die Grundvoraussetzung geschaffen haben, um gerade im Reisen das große Glück zu finden. Ich bin bei jedem Abenteuer voll und ganz im Abenteuer. Mit Offenheit, Spontanität und restloser Begeisterung.
Ich vermisse unterwegs nichts. Nicht meine Wohnung, nicht meine Freunde und nein, auch nicht den Anblick des örtlichen Kirchturms.
Aber das Allerbeste am unverwurzelten Großwerden, das ist die Möglichkeit, gänzlich unbeeinflusst von Dingen wie Herkunft, Familie oder auch simpler Gewohnheit, eine Heimat frei wählen zu können. Und genau diese Entscheidung habe ich vor beinahe 20 Jahren getroffen. Mit den Grasbergen der Kitzbüheler Alpen – meiner allerersten Wahlheimat. ❤️
Kitzbüheler Alpen - Hard Facts
Die Kitzbüheler Alpen erstrecken sich auf über 80km Länge auf die österreichischen Bundesländer Tirol und Salzburg und sind somit Teil der nördlichen Ostalpen.
Dem Gebirge fehlen kolossal hohe Gipfel - ‚unser’ Höchster, das Kreuzjoch, ist gerade mal 2558m hoch gewachsen - sowie kernige Bergformen. Zu einem großen Teil sind die Kitzbüheler Alpen liebliche Grasberge, wie geschaffen für Almwirtschaft, Schitourismus und Wandertourismus.
So ist auch ein signifikant hoher Teil der Kitzbüheler Alpen entsprechend proppenvoll mit Liftanlagen, Funparks, semi-authentischen Themenwelten und qualitativ nicht durchgängig überzeugenden Bergrestaurants.
Aber…. Da gibt es noch MEINE Kitzbüheler Alpen. Meine Grasberge. Wo Gipfelkreuze nicht von Gondeln angepeilt werden. Wo man sich seine Jause selbst mitnimmt oder bei einer einzigen bewirtschafteten und mega-urigen Alm vorbei stapft, deren Speisekarte aus einem in 'Unterlandlerisch' gemurmelten Dreizeiler besteht. Wo sich die Geräuschkulisse aus einem entfernt plätscherndem Bach und einer noch weiter entfernt bimmelnden Kuhglocke zusammensetzt. Und wo man seinen Hund - selbstverständlich unter Rücksichtnahme auf Weidevieh - auch mal ohne Leine laufen lassen kann.
Wandern mit Hund im November – Warum ich den Herbst in den Kitzbüheler Alpen so liebe…
Ich erreiche das schlichte Gipfelkreuz wenige Augenblicke nach meinem Hund und stelle meinen Rucksack ins saftlose blassgelbe Gras. Die tiefstehende Sonne scheint mir beinahe waagrecht auf meinen verschwitzten Rücken, an der Länge meines Schattens könnte man mich glatt mit einer Amazone verwechseln.
Der zünftige Anstieg hallt nach. In meiner Atemfrequenz. Und in der von Skye, deren weiche Schlabberzunge in gleichmäßig schnellen Hahahahahahaha’s aus ihrem Mäulchen baumelt. Doch als wir beide für den Bruchteil einer Sekunde die Luft anhalten – für diesen ersten ganz bewussten gemeinsamen Gipfelmoment – hören wir augenblicklich nichts als idyllische Einsamkeit.
Das sogenannte Ausfahr’n - die Mundart-Bezeichnung für den Almabtrieb im Herbst - liegt bereits Wochen zurück, die Almhütten sind verbarrikadiert und befinden sich im Winterschlaf. Die ‚echte’ Wandersaison ist eigentlich schon längst zu Ende.
Bis auf das Knistern des trockenen Almgrases als ich mich neben das Gipfelkreuz setze, das zarte Sprudeln des gut 700 Höhenmeter entfernten Wieseneggbachs und natürlich Skye’s wieder aufgenommenes gleichmäßiges Hecheln, ist es mucksmäuschenstill.
Mitten in einer der touristisch am besten erschlossenen Regionen der Alpen lauschen wir gemeinsam dem Klang von Abgeschiedenheit. Ja, so ist das hier Mitte November in den Kitzbüheler Alpen.
Kitzbüheler Alpen - Zwischen Licht und Schatten
Mit den Kitzbüheler Alpen durfte ich meine Bergliebe, wie ich sie heute kenne, erlernen. Ja, ich bin tatsächlich Spätberufene - Ich war knappe 20 Jahre alt, als ich erstmals einen Grasberg hochkeuchen durfte. Aber umso nachhaltiger hat sich diese Liebe in mein Herzerl eingebrannt. Es ist eine Verbundenheit auf ewig. ❤️
Am Rande einer der schönsten Regionen Österreichs zu leben, ist Fluch und Segen zugleich.
So finden meine ganz gewöhnlichen alltäglichen Gassi-Runden meist schon in traumhafter Kulisse statt. Unbezahlbar, das sag ich euch. 👌🏼
Und ich kenne die urigsten Almen, die unfrequentiertesten Wege, die klarsten Bergseen und die coolsten Plätze, auf denen man auch mal eine Nacht im Van verbringen kann. 🚐🏔
Aber…. Es wird zunehmend innig am am Berg. Wanderer, Spaziergänger, Paraglider, Mountain- & E-Biker, Kinderwagenschieber, Hundebesitzer, nicht zu vergessen die Winterfraktion bestehend aus Schifahrern, Snowboardern und Tourengehern und zu guter letzt diejenigen, die die Landschaft der Kitzbühler Alpen optisch am meisten prägen, nämlich die Almbauern mit ihren Tieren - Alle wollen in die Höhe. Der Keim für ganz und gar unromantische Konflikte.
Ihr kennt mich - das ist nichts für mich. Mein Weg verläuft in der Regel abseits des Mainstreams.
Meine persönliche - und vielleicht auch unverhältnismäßig große - Individualdistanz ist bei den folgenden Wanderungen mit Hund durchaus auch in der Hauptsaison gewahrt. Die Touren fallen nämlich gänzlich ohne Aufstiegshilfen aus. Das ist für viele andere Berg-Benutzer offenbar ein ganz klares Hindernis.
Die Begegnung mit Weidetieren allerdings, ist auf diesen Routen im Sommer nicht auszuschließen. 🐮
Meine Empfehlung zum Wandern in den Kitzbüheler Alpen ist - gerade mit Hund - ganz und gar für die Nebensaison.
Technisch sind alle der angeführten Touren easy peasy. Für Zwei- wie Vierbeiner. Eine halbwegs solide Grundkondition ist aber Voraussetzung.
Eine Wasserflasche und Skyes ziehharmonika-artig gefalteten grünen Silikon-Reisenapf hab ich freilich immer im Rucksack, wenngleich beides - gerade bei diesen Wanderungen - entbehrlich wären. Zu Schabbern gibts nämlich unterwegs genug… 💦
Parkmöglichkeit findet ihr jeweils am Startpunkt der Wanderung. Bei den Touren 2-4 fallen 5€ Mautgebühren für die Straßenbenutzung an.
4 einzigartige Herbstwanderungen mit Hund in den Kitzbüheler Alpen
1. Drei Gipfel - Ein Bergsee - Wandern mit Hund in Jochberg
Definitiv eine meiner Lieblingstouren und auch die Wanderung, auf deren ersten Gipfel ich euch in diesem Bericht mitgenommen hab. Diese Runde punktet mit dreifachem - wenn auch sehr schlichtem - Gipfelglück, welches auch noch mit einem glasklaren Bergsee - dem Torsee - getoppt wird.
Wer die Tour entgegen meinen Empfehlungen doch im Sommer geht, sollte unbedingt einen Hupfer in den See wagen. Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich dem Torsee das Siegel Ultimativer Frischekick des Lebens verpasse… Mit Komplett-im-Wasser-Beweisfoto gibts von mir dafür ein 6er-Tragerl Bier. 😜
2. Lodron aus dem Windautal - knackiger Aufstieg, üppiges Kreuz
So schlicht die Grasberge der Kitzbüheler Alpen auch sein mögen, so opulent ist das Gipfelkreuz des Lodron. Ein Bisserl viel Prunk. Aber gut…
Nobel ist auf jeden Fall der Ausblick!
3. Naturjuwel Wildalmseen - Wasserreiche Herbstwanderung mit Hund vom Kurzen Grund
Wie ein Fisch im Wasser - so fühlt sich Skye auf dieser Tour. Klirrend kalte Gebirgsbäche, sanft sprudelnde Quellen und drei prickelnde Bergseen. Einer schöner als der andere.
Wir kehren dieses Mal beim mittleren Wildalmsee um. Ein ziemlich markanter Glatteis-Flutscher meinerseits bremst meine Abenteuerlust beim Anstieg zum dritten See abrupt. Unter Umständen sollte man die Wanderung eine Woche früher (evt. Ende Oktober) gehen. Dann stünde auch dem folgenden Gipfel - dem Schafsiedel - nichts im Wege
4. Durch den Langen Grund zum höchsten wanderbaren Gipfel der Kitzbüheler Alpen - dem Torhelm
Die meisten Menschen, die ich kenne, haben einen Lieblingsitaliener oder eine Lieblingsfernsehsendung. Ich hab ein Lieblingstal, nämlich den Langen Grund. Ich könnte ungelogen mein ganzes Leben in dem unverdorbenen Seitental des Brixentals verbringen und fände es nie langweilig.
Logisch, dass ich euch also eine entsprechende Herbstwanderung liefere. Den Torhelm. Dritthöchster der Kitzbüheler Alpen. Und höchster Wanderbarer selbiger.